Dies ist der dritte Teil der Artikelreihe zu Ludwig von Mises‘ Buch „Die Gemeinwirtschaft. Untersuchungen über den Sozialismus“. In dieser und den nachfolgenden Artikeln folgen wir der zweiten umgearbeiteten Auflage von 1932.
Über das Problem der Wirtschaftsrechnung
Das Streben nach individueller Befriedigung treibt die Menschen zur Gesellschaftlichkeit.
Geldrechnung
Der Mensch will Lust erlangen und Unlust vertreiben. Darin besteht das vernunftgemäß zu begreifende menschliche Handeln. (S. 89) Durch diesen Drang kommt es zur Arbeitsteilung, die jedem Beteiligten Vorteile bringt. Mit der Arbeitsteilung entsteht die Gesellschaft. Das Geld kommt ins Spiel, weil es dazu dient, die Begrenzungen des direkten Güteraustausches zu überwinden. Vom Naturaltausch ausgehend kommt es auf den Märkten zur Geldrechnung, da sie für das wirtschaftliche Handeln unentbehrlich ist. Eine arbeitsteilige Gesellschaft braucht Geld, weil das individuelle wirtschaftliche Handeln der Orientierung durch Preise bedarf. Preise sind unabdingbar, um die wirtschaftlichen Tätigkeiten zu koordinieren. Dabei ist allerdings das Geld weder für Wert und Preis ein Maßstab.
Das Geld ist kein Maßstab des Wertes, auch kein Maßstab des Preises. Der Wert wird ja nicht in Geld gemessen. Auch die Preise werden nicht in Geld gemessen, sie bestehen in Geld. (S. 94)
Es ist nicht zu bestreiten, dass die Geldrechnung unvollkommen ist. Sie weist sogar schwere Mängel auf, aber es gibt kein besseres Instrument, das man an die Stelle des Geldes setzen könne. Für die praktischen Zwecke des Lebens reicht die Geldrechnung eines gesunden Geldwesens aus. Verzichtet man auf die Geldrechnung, dann wird jedes Wirtschaften schlechthin unmöglich (S. 101)
Die Unzulänglichkeit der Geldrechnung kommt daher, dass der Wirtschaftsrechnung der Tauschwert zugrunde liegt und nicht der subjektive Gebrauchswert. Deshalb ist die Geldrechnung nicht universell. Sie macht nur als Wirtschaftsrechnung Sinn. Rechnen in Geldeinheiten ist ein praktischer Kniff, um die Verfügung über wirtschaftliche Güter den Regeln der Wirtschaftlichkeit anzupassen. Geldrechnung kann sich nur auf die Güter in den Mengen beziehen, die im gegebenen Zeitpunkt gegen Geld ausgetauscht werden. Die Erweiterung des Anwendungsgebietes der Geldrechnung würde zu Missgriffen führen.
Die Geldrechnung versagt, wenn man sie in geschichtlichen Untersuchungen über die Entwicklung der wirtschaftlichen Verhältnisse als Maßstab der Güterwerte zu verwenden sucht, sie versagt, wenn man an ihrer Hand Volksvermögen und Volkseinkommen zu schätzen sucht, und wenn man mit ihr den Wert von Gütern berechnen will, die außerhalb des Tauschverkehrs stehen, wie etwa, wenn man die Menschenverluste durch Auswanderung oder durch Krieg in Geld zu berechnen strebt. (S. 95)
Die Geldrechnung gibt dem wirtschaftlich Handelnden einen Wegweiser „durch die erdrückende Fülle der wirtschaftlichen Möglichkeiten“. Geldrechnung gestattet,
… das Werturteil, das sich in unmittelbarer Evidenz nur an die genussreifen Güter und bestenfalls noch an die Produktivgüter der niedrigsten Güterordnungen knüpft, auf alle Güter höherer Ordnung auszudehnen. Sie macht den Wert rechenbar und gibt uns damit erst die Grundlagen für alles Wirtschaften mit Gütern höherer Ordnung. Hatten wir sie nicht, dann wäre alles Produzieren mit weit ausholenden Prozessen, dann wären alle längeren kapitalistischen Produktionsumwege ein Tappen im Dunkeln. (S. 96)
Ohne Geld würde sich der menschliche Geist nicht zurechtfinden in der verwirrenden Fülle der Zwischenprodukte und der Produktionsmöglichkeiten. „Er stünde allen Verfahrens- und Standortfragen ratlos gegenüber“. (S. 97)
Damit eine Wirtschaftsrechnung in Geld erfolgen kann, müssen zwei Bedingungen erfüllt sein. Zuerst müssen sowohl Konsum- als auch Produktionsgüter in den Tauschverkehr einbezogen sein. Es müssen Austauschverhältnisse am Markt entstehen. Zweitens muss ein allgemein gebräuchliches Tauschmittel – also Geld – in Verwendung sein, das den Austausch am Markt vermittelt und sich so die Geldpreise auf einen gemeinsamen Nenner zurückführen lassen. (S. 96) Ohne Markt und Geldpreise ist kein rationales wirtschaftliches Handeln möglich.
Jeder Schritt, der uns vom Sondereigentum an den Produktionsmitteln und vom Geldgebrauch wegführt, führt uns auch von der rationellen Wirtschaft weg. (S. 98)
Planungschaos
Ohne Wirtschaftsrechnung kann es eine auf freiwilligem Austausch beruhende arbeitsteilige Wirtschaft nicht geben. Da im sozialistischen Gemeinwesen die Durchführung der Wirtschaftsrechnung unmöglich ist, kann es im überhaupt keine Wirtschaft in unserem Sinne geben. Nur im Kleinen oder in nebensachlichen Einzeldingen mag auch weiterhin rational gehandelt werden, aber von einer rationalen Güterproduktion kann nicht mehr gesprochen werden. Ohne Preis- und marktbasierte Wirtschaftsrechnung gibt es kein Mittel, zu erkennen, was wirtschaftlich oder unwirtschaftlich ist. Nach der Abschaffung des Sondereigentums and Produktionsmitteln kann das Handeln nicht mehr wirksam auf Wirtschaftlichkeit eingestellt werden. Wenn, so wie im sozialistischen Gemeinwesen, es weder freie Märkte noch Privateigentum an Produktionsmitteln gibt, ist es unmöglich, eine Wirtschaftsrechnung durchzuführen.
Statt der versprochenen Abschaffung der „Anarchie des Marktes“, herrscht genau dies in der sozialistischen Wirtschaft: Planungschaos.
Man vergegenwärtige sich die Lage des sozialistischen Gemeinwesens. Da gibt es Hunderte und Tausende von Werkstätten, in denen gearbeitet wird. Die wenigsten von ihnen erzeugen gebrauchsfertige Waren; in der Mehrzahl werden Produktionsmittel und Halbfabrikate erzeugt. Alle diese Betriebe stehen untereinander in Verbindung. Sie durchwandert der Reihe nach jedes wirtschaftliche Gut, bis es genussreif wird. In dem rastlosen Getriebe dieses Prozesses fehlt aber der Wirtschaftsleitung jede Möglichkeit, sich zurecht zu finden. Sie kann nicht feststellen, ob das Werkstück auf dem Wege, den es zu durchlaufen hat, nicht überflüssigerweise aufgehalten wird, ob an seine Vollendung nicht Arbeit und Material verschwendet werden. Welche Möglichkeit hätte sie, zu erfahren, ob diese oder jene Erzeugungsart die vorteilhaftere ist? Sie kann bestenfalls die Güte und Menge des genussreifen Endergebnisses der Erzeugung vergleichen, aber sie wird nur in den seltensten Fällen in der Lage sein, den bei der Erzeugung gemachten Aufwand zu vergleichen. (S. 99)
Im Unterschied dazu wird in der auf dem Sondereigentum an den Produktionsmitteln beruhenden Wirtschaftsordnung die Wertrechnung von allen selbständigen Gliedern der Gesellschaft durchgeführt. Jeder ist an ihrem Zustandekommen beteiligt, einmal als Verbraucher, das andere Mai als Erzeuger. Als Verbraucher setzt der Marktteilnehmer die Rangordnung der gebrauchs- und verbrauchsreifen Güter fest; als Erzeuger zieht der Wirtschaftsakteur die Investitionsgüter in jene Verwendung, in der sie den höchsten Ertrag abzuwerfen versprechen. Damit erhalten auch alle Produktionsgüter die ihnen nach dem augenblicklichen Stand der gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse und der gesellschaftlichen Bedürfnisse zukommende Rangordnung. Das Zusammenspiel der beiden Wertungsprozesse sorgt dafür, dass das wirtschaftliche Prinzip überall, im Verbrauch sowohl als in der Erzeugung, zur Herrschaft gelangt. (S. 99)
Diese Bedingungen fehlen in der sozialistischen Wirtschaft.
Die Planungsbehörde mag zwar vermuten, was für Güter am dringendsten benötigt werden, aber damit hat sie erst einen Teil des für die Wirtschaftsrechnung Erforderlichen gefunden. Es fehlt der andere Teil, die Bewertung der Produktionsmittel. Die Behörde mag zwar den Wert, der der Gesamtheit der Produktionsmittel zukommt, feststellen, also den Wert, der der Gesamtheit der durch die produzierten Güter befriedigten Bedürfnisse zukommt. Auch vermögen die Planer festzustellen, wie groß der Wert eines einzelnen Produktionsmittels ist, indem sie die Bedeutung des Ausfalles an Bedürfnisbefriedigung kennen, der durch seinen Wegfall entsteht. Doch das Planungsgremium kann diesen Wert nicht auf einen einheitlichen Preisausdruck zurückführen. Dazu bräuchte man eine Verkehrswirtschaft, in der alle Preise auf einen gemeinsamen Ausdruck, nämlich Geld, zurückgeführt werden können. Aber genau diese Verkehrswirtschaft will der Sozialismus abschaffen. (S. 100)
Kapitalrechnung ist ohne Wirtschaftsrechnung nicht möglich. Da sie im Sozialismus notwendigerweise fehlen muss, ist eine Kapitalrechnung nicht durchführbar und die Planer stehen hilflos den Grundproblemen der Wirtschaft gegenüber. Den Lenkern der Planwirtschaft ist es beim besten Willen nicht möglich, jene Kalkulationen durchzuführen, die nötig sind, um Produktion und Konsum so in Einklang zu bringen, dass zumindest die Wertsumme des Kapitals erhalten bleibt und dass die die über die Erhaltung des Kapitals hinaus erzielten Überschüsse dem Verbrauch zugutekommen. (S. 179)
Kapitalrechnung
Der Ausdruck „Kapital“ hat einen festen Platz in der Wirtschaftsrechnung. Er fasst das in Geld bestehende oder in Geld gerechnete Stammvermögen einer Erwerbswirtschaft zusammen. Mit dieser Zusammenfassung lässt sich feststellen, wie sich der Wert dieses Vermögens im Verlauf der jeweiligen Geschäftsoperationen verändert hat. Der Ursprung des Begriffs des „Kapitals“ kommt von der Wirtschaftsrechnung her. Die Heimat des Kapitalbegriffs ist die Buchführung, „dieses vornehmste Mittel der ausgebildeten Rationalisierung des Handelns“. (S. 102)
Der schillernde Begriff des „Kapitalismus“ gewinnt im Hinblick auf die Kapitalrechnung seinen spezifischen Sinn. Kapitalismus ist dann die Wirtschaftsweise, in der die unternehmerischen Handlungen an der Kapitalrechnung ausgerichtet werden.
Der schillernde Begriff des „Kapitalismus“ gewinnt im Hinblick auf die Kapitalrechnung seinen spezifischen Sinn. Kapitalismus ist dann die Wirtschaftsweise, in der die unternehmerischen Handlungen an der Kapitalrechnung ausgerichtet werden.
Auch die in der Soziologie gebrauchten Ausdrücke wie ,,kapitalistischer Geist“ und ,,antikapitalistische Gesinnung” gewinnen dann einen deutlichen Inhalt. In so einem Gebrauch können dann auch die Begriffe ,,Sozialismus” und ,,Kapitalismus” einander gegenübergestellt werden. (S. 102/3)
Austauschverhältnisse der Produktivgüter können sich nur bilden, wenn es ein Sondereigentum an den Produktionsmitteln gibt. Unter kapitalistischer Produktionsweise ist die Wirtschaftsweise zu verstehen, in der in Geld gerechnet wird, sodass man die einer Produktion gewidmete Gütermenge nach ihrem Geldwert gerechnet, als Kapital zusammenfassen kann. Hier liegt der Unterscheidungspunkt zwischen kapitalistischer und sozialistischer Produktionsweise und der Unterschied zwischen Kapitalismus und Sozialismus. Im Unterschied zum Sozialismus besteht die kapitalistische Produktionsweise darin, den Erfolg des Wirtschaftens and den Veränderungen des Kapitals festzustellen.
Wo der Marktverkehr fehlt, gibt es keine Preisbildung; ohne Preisbildung gibt es keine Wirtschaftsrechnung. (S. 111)
Das Problem der Wirtschaftsrechnung ist das Kernproblem des Sozialismus. Ohne Bezug auf dieses Grundproblem, sind alle Analysen der sozialistischen Wirtschaft wertlos. Für die politische Entwicklung sollte es sich verheerend auswirken, dass Marx gleichsam ein Verbot ausgesprochen hatte, die sozialistische Wirtschaftsordnung zu analysieren und nicht bei der bloßen Kapitalismuskritik stecken zu bleiben.
Bis zu Mises’ Veröffentlichung der Untersuchung über die Wirtschaftsrechnung im sozialistischen Gemeinwesen von 1920 und der Erweiterung dieses Ansatzes in „Die Gemeinwirtschaft“ von 1922 gab es keine im wissenschaftlichen Sinn brauchbare Analyse der sozialistischen Wirtschaftsweise. Mit diesen beiden Schriften erbrachte Ludwig von Mises den Nachweis, dass im sozialistischen Gemeinwesen Wirtschaftsrechnung nicht möglich ist und liefert damit zugleich den Beweis, dass rationales Wirtschaften im Sozialismus undurchführbar ist.
Bis zu Mises’ Veröffentlichung der Untersuchung über die Wirtschaftsrechnung im sozialistischen Gemeinwesen von 1920 und der Erweiterung dieses Ansatzes in „Die Gemeinwirtschaft“ von 1922 gab es keine im wissenschaftlichen Sinn brauchbare Analyse der sozialistischen Wirtschaftsweise.
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Dies ist der dritte Teil der Artikelreihe zu Ludwig von Mises‘ Buch „Die Gemeinwirtschaft. Untersuchungen über den Sozialismus“. Den zweiten Teil finden Sie hier.
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