Wird die deutsche Redewendung „das Gelbe vom Ei“ verwendet, soll damit das Beste, das Vorteilhafteste, das Nonplusultra beschrieben werden. Besser geht es nicht! Ist es vor diesem Hintergrund angemessen, gerade die Freiheit als das Gelbe vom Ei zu bezeichnen?
Wäre es nicht passender, zum Beispiel die Marktwirtschaft oder persönliches Wohlergehen so zu benennen? Kämen nicht auch gute Politik oder Gleichheit als Kandidaten in Frage? Ist es nicht Willkür oder einfach nur die individuelle Vorliebe des Autors, gerade der Freiheit diese Sonderstellung zuzuschreiben?
Wenn wir diesen Fragen auf den Grund gehen und nach Antworten suchen, lassen sich lehrreiche Erkenntnisse gewinnen.
Freiheit, Marktwirtschaft und persönliches Wohlergehen
Zunächst muss darauf hingewiesen werden, dass es zahlreiche Menschen gibt, die Marktwirtschaft und Kapitalismus für etwas Schlechtes halten. Der Ruf nach einem Great Reset oder der Überwindung der Marktwirtschaft macht dies mehr als deutlich.
Diese sozialistischen Perspektiven können wir bei unseren weiteren Überlegungen jedoch getrost ignorieren. Vergleicht man die Situation sozialistischer Länder mit jenen, die Marktwirtschaft zulassen, wenn auch nur beschränkt, zeigt sich, dass es sowohl der Umwelt als auch den Menschen in letzteren besser geht.
Auch die Entwicklung von Ländern, welche im Laufe der Jahrzehnte mal mehr und mal weniger Marktwirtschaft zuließen (beispielsweise China) liefern ein Musterbeispiel dafür, dass sich die Ablehnung von Marktwirtschaft im Grund nur ideologisch begründen lässt. Die Fakten sprechen hier eine deutliche Sprache – Marktwirtschaft ist das bessere System.
Ausgehend von der Erkenntnis, dass die Marktwirtschaft den Menschen dient, stellt sich die Frage, inwiefern dazu Freiheit erforderlich ist. Schließlich ist beispielsweise China, trotz (phasen- und bereichsweiser) Zulassung marktwirtschaftlicher Prozesse, kein Musterbeispiel für individuelle Freiheit.
Braucht Marktwirtschaft individuelle Freiheit?
Der einzelne handelnde Mensch ist der Dreh- und Angelpunkt der dynamischen marktwirtschaftlichen Interaktion. Insofern lässt sich der Markt als ein Prozess steter Anpassung der individuellen Handlungen der Menschen an sich ändernde Umstände verstehen. Ist das ohne Freiheit möglich?
Ein Mensch möchte aufgrund der ihn vor Ort betreffenden Umstände und seiner nur ihm bekannten Präferenzen eine bestimmte Handlung ausführen, um seine Situation zu verbessern. Diese Wunschhandlung könnte beispielsweise der Erwerb einiger Scheiben Kochschinken sein. Doch was passiert, wenn ihm diese Möglichkeit aufgrund politischer Intervention nicht offensteht?
Mises schrieb:
Die Eingriffe [des Interventionismus] können zweierlei Art sein: sie können entweder produktionspolitische Eingriffe sein, d.h. Befehle, die die Produktion unmittelbar hemmen oder erschweren, oder preispolitische Eingriffe, die darauf hinauslaufen, Preise von Gütern und Dienstleistungen anders festzusetzen, als der unbehinderte Markt sie bilden würde.
Was wir heute zusätzlich sehen, sind „konsumpolitische Eingriffe“. Wird Fleischkonsum in der ein oder anderen Form (durch Preismanipulation oder Verbote in Produktion oder Konsum) beschränkt, kann der Mensch seine Wunschhandlung nicht vollziehen – auch wenn er einen Verkäufer kennt, der ihm gern etwas davon verkaufen würde.
Statt der Win-win-Situation des Marktes, in welcher der eine Mensch Geld für Fleisch und der andere Fleisch für Geld tauschen würde, unterbleibt diese Transaktion. Beide, der potenzielle Käufer und der Verkäufer, können ihre Situation nicht verbessern.
Je mehr Freiheitseinschränkungen es gibt, umso weniger vorteilhaft ist die damit einhergehende Entwicklung. Und da Freiheit fehlt, unterbleibt nicht nur die Transaktion, die zum Erwerb des direkt konsumierbaren Gutes führt, sondern zahlreiche zu dessen Erbringung notwendige Transaktionen unterbleiben ebenfalls (Güter höherer Ordnung, wie Menger diese nannte).
Um die Vorteile der Marktwirtschaft voll ausschöpfen zu können, ist Freiheit unumgänglich. So darf aus guten Gründen angenommen werden, dass auch die durchaus beeindruckende Entwicklung in China um einiges besser sein könnte, wenn mehr individuelle Freiheit gewährleistet wäre.
Freiheit, Gleichheit und gute Politik
Gegner der Marktwirtschaft dürften an dieser Stelle einwenden, dass die bessere Situation nur den Kapitalisten zugutekäme. Das persönliche Wohlergehen zahlreicher Menschen wäre nur mit mehr Gleichheit sicherzustellen, wofür es entsprechender politischer Interventionen bedürfe.
Schauen wir uns auch diese Argumentation genauer an und greifen zunächst zu einem räumlich nahe- und zeitlich zurückliegenden Beispiel aus Deutschland, der BRD auf der einen und der DDR auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs. Im marktfernen System Ostdeutschlands waren sowohl die Umweltsituation als auch die Lebensumstände der Menschen deutlich schlechter.
Mauerbau, Fluchtversuche trotz Schießbefehl und eine friedliche Revolution machten deutlich, dass die Situation im mehr marktwirtschaftlichen Westen, dem sozialistischen Osten vorgezogen wurde. Nicht anders ist die aktuelle Lage in Nord- und Südkorea, wo ebenfalls zwei Welten unmittelbar aufeinandertreffen.
Auch Daten aus den USA zeigen, dass gute wirtschaftliche Entwicklung nicht nur „den Reichen“ zugutekommt. Die Betrachtung über einen 50-Jahres-Zeitraum (von 1967 bis 2017, siehe Grafik) macht deutlich, dass Verbesserungen und Verschlechterungen der Situation armer und reicher Bevölkerungsschichten weitgehend parallel verlaufen und stark mit der Wirtschaftsentwicklung korrelieren. |
Bleibt die Frage, worauf gute wirtschaftliche Entwicklung zurückzuführen ist bzw. was diese fördert oder hemmt? Sind es starke politische Eingriffe, welche der Wirtschaft auf die Sprünge helfen? Sind es die Ge- und Verbote mächtiger und kluger Entscheider, welche die Entwicklung im Interesse aller voranbringen?
Die Antwort ist einfach: Zentrale politische Intervention produziert im Gegensatz zu freiwilligem dezentralen Austausch immer auch Verlierer. Aus den Win-win-Situationen des Marktes werden Win-lose-Situationen, die bezeichnend sind für den Sozialismus (und den Interventionismus als Zwischenschritt).
Mises schrieb:
Er [der Interventionismus] ist eine Methode zur ratenweisen Verwirklichung des Sozialismus.
Zentral erzwungene politische Eingriffe scheitern unvermeidlich an der Anmaßung von Wissen, wie Hayek dies in seiner Nobelpreisrede darlegte. Nur dem einzelnen Individuum liegen alle relevanten Informationen für eine optimale Handlung vor. Doch damit der einzelne Mensch auch tatsächlich in diesem Sinne handeln kann, bedarf es Freiheit.
Fazit
Freiheit ist notwendiges Element der Marktwirtschaft und Voraussetzung für einen Prozess, welcher dem Wohlergehen aller Menschen dient. Im befruchteten Ei liefert der Dotter die nötigen Nährstoffe für Wachstum und Wohlergehen des Kükens. In Wirtschaft und Gesellschaft liefert die Freiheit die Voraussetzung für Wachstum und Wohlergehen.
Freiheit ist das Gelbe vom Ei!
Rainer Fassnacht ist ausgebildeter Kaufmann und studierter Diplom-Ökonom. Er lebt in Berlin und ist Autor des Buchs „Unglaubliche Welt: Etatismus und individuelle Freiheit im Dialog“. Auch in seinen sonstigen, unter anderem vom Austrian Economics Center in Wien veröffentlichten Texten, setzt er sich für die Bewahrung der individuellen Freiheit ein.
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Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Instituts Deutschland wieder.
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