Wie jedes Jahr fand auch diese letzte Aprilwoche der wohl gefühlskälteste Grossanlass der Schweiz statt: die Generalversammlung der Schweizerischen Nationalbank (SNB) im alten Casino in Bern. Der Ort „altes Casino“ hätte nicht treffender gewählt sein können von der grössten Zockerin aller Zeiten.
Im Schnitt hat die SNB im vergangenen Geschäftsjahr pro Woche eine bis zwei Milliarden Franken Volksschulden gemacht und das Geld aus der Schweiz in die grosse weite Welt hinausgeworfen. Die SNB hat somit schon fast 700 Milliarden Schulden gemacht – fast hunderttausend Franken pro Bewohner. Und es geht weiter.
Mit düsterer Mine, als ginge es um eine Gerichtsverhandlung mit anschliessendem Todesurteil, eröffnete Jean Studer, Präsident des SNB-Bankrates, die Generalversammlung. Seine Beteuerung, er möchte eine konstruktive Diskussion über die SNB, war ein Schlag ins Gesicht all jener, die sich Sorgen machen um die ständig weiter wachsenden Schulden der SNB.
Sorgen bezüglich der SNB-Bilanz sind für Studer offenbar nicht konstruktiv.
Als ein älterer, ehrwürdiger Aktionär die SNB-Führung höflich darauf aufmerksam machte, dass die SNB mittlerweile der grösste Kreditgeber Deutschlands sei und dass die SNB allein im US-Aktienmarkt rund 50 Milliarden investiert habe, wies ihn Studer (Markenzeichen unrasiert) schroff an, er habe noch genau 5 Sekunden Zeit für sein Votum.
Der Kleinaktionär hinterfragte, ob die SNB diese Aktien denn tatsächlich ohne Gegenleistung kaufen könne. Damit hinterfragte er das Zentrum der SNB. Das war gefährlich. Nun wies ihn Studer schroff ab.
Das Schnauben Studers ist hie und da auf dem Video zur GV auf der Internetseite der SNB deutlich zu hören.
Studer gab an der SNB-GV einmal mehr den „bösen Polizisten“. Demgegenüber gab SNB-Präsident Thomas Jordan den „lieben Polizisten“. Jordan präsentierte in seinem Vortrag die reinste Chaostheorie. Aber er hatte nichts zu befürchten: Hinter ihm stand der „böse“ Studer, der ihm den Rücken freihielt und schroff zurechtwies, wer nicht spurte.
Und vor Jordan war ein braves Publikum, das immer artig klatsche, wenn Jordan oder Studer etwas gesagt hatten. Trotzdem war Jordan sichtlich erleichtert wie ein Schuljunge, nachdem er seine Rede fast fehlerfrei abgelesen hatte.
„Böser Polizist“ Studer und „lieber Polizist“ Jordan waren also die Hauptakteure in dieser Aufführung im alten Casino. Studer begriff fachlich nicht, was Jordan sagte. Das war für ihn auch nicht wichtig. Für ihn zählte nur, dass er mit grimmiger Miene einschüchterte und allfällige Kritik der Aktionäre im Keime erstickte – wenn nicht mit Argumenten, dann halt mit Mimik und Zeitbeschränkungen.
Zuckerbrot und Peitsche war die Devise. Das Zuckerbrot war das ausgiebige Buffet am Schluss der Veranstaltung auf Kosten der Steuerzahler. Mit diesem Lockmittel will die SNB die Diskussion möglichst einengen – Schulden von 700 Milliarden hin oder her. Diverse Aktionäre machten ihn auf seine Unhöflichkeit aufmerksam und auf die Wichtigkeit dieser Diskussion.
Was sich „lieber Polizist“ Jordan in diesem Umfeld alles erlaubte zu behaupten, war fachlich kaum zu unterbieten. Er legte beispielsweise grossen Wert auf die Feststellung, dass die SNB bestrebt sei, die Aktienkurse mit ihren Käufen nicht zu beeinflussen.
Nur: Die SNB will mit ihren Käufen von Aktien in US-Dollars und Euros doch erreichen, dass Dollar und Euro steigen. Wie soll es aber möglich sein, mit diesen Investitionen die riesigen Devisenmärkte zu steuern, die viel kleineren Aktienmärkte aber nicht zu beeinflussen? Das ist doch unglaubwürdig.
Die SNB behauptet doch immer, sie wolle mit ihrer Geldpolitik die Zinsen steuern. Mit anderen Worten: Wenn die SNB die Zinsen über den Kauf von Staatsobligationen steuern will, so bedeutet das doch, dass die Obligationenkurse steigen und die Zinsen fallen.
Wie will die SNB aber die viel grösseren Obligationenmärkte mit ihren Investitionen steuern, und auf die kleineren Aktienmärkte sollen die SNB-Investitionen keinen Einfluss haben?
Jordan übersah auch, dass er mit den Käufen von ausländischen Staatsobligationen die Zinsen im Ausland steuert anstatt in der Schweiz. Widersprüchlich war auch seine Behauptung, wonach die SNB nur in Staatsobligationen liquidester Märkte investiere.
Vor Jahren, als Standard & Poor’s die SNB kritisierte, dass sie mit dem Kauf von überwiegend deutschen Staatsobligationen die Zinsgefälle innerhalb der Eurozone zulasten schwächerer Volkswirtschaft beeinflusse, behauptete die SNB noch, sie investiere genauso in schwache Volkswirtschaften.
Dann behauptete Jordan, die SNB investiere nur in liquide Märkte, wo sie rasch aussteigen könne ohne Beeinflussung der Kurse. Die SNB besitzt aber weit über 6’000 verschiedene Aktientitel. Wie will die SNB aus diesen Titeln rasch rauskommen?
Falls die SNB aussteigt, so wird das unweigerlich einen Dominoeffekt auf die Aktienkurse haben. Man denke allein an die psychologische Auswirkung, wenn die internationalen Finanzmärkte realisieren, die SNB verkaufe Aktien.
Jordans Behauptung, die SNB beeinflusse die Aktienkurse nicht, erscheint also äusserst naiv. Zudem konnte er nicht erklären, wie der Kauf von US-Aktien die Schweizer Wirtschaft ankurbeln soll.
Stark irritierend ist sodann die Behauptung von Jordan, ohne Interventionen der SNB würde der Franken viel höher beziehungsweise würden Euro und Dollar viel tiefer notieren. Wenn wir annehmen, dass der Franken beispielsweise 10 Prozent höher notieren würde, so folgt die zwingende Konklusion, dass die SNB ihre Devisenanlagen um 10 Prozent zu hoch bewertet.
Die SNB hat somit in ihrer Bilanz „stille negative Reserven“, oder „stille Verluste“, von rund 70 Milliarden Franken. Das Eigenkapital der SNB wäre somit praktisch weg. Das sollte Jordan doch wissen. Und warum hinterfragte das niemand im Saal, wo die Crème de la Crème der Schweizer Wirtschaftspolitik zugegen war?
Störend war auch, dass Jordan die Devisenanlagen der SNB repetitiv als „Währungsreserven“ bezeichnete, die „vertrauensbildend“ seien. Reserven stellen aber immer Eigenkapital dar. Die Währungsreserven der SNB wurden aber mit Fremdkapital finanziert. Das ist eine bewusste Irreführung der Schweizer Bevölkerung durch die Nationalbank. Ärgerlich.
Nicht nachvollziehbar ist auch, dass Jordan erneut behauptete, die SNB sei auch bei negativem Eigenkapital handlungsfähig. Das war sein Schlüsselsatz und wurde von den Medien dementsprechend kolportiert. Auch diesbezüglich findet eine systematische Irreführung des Schweizervolkes statt.
Nicht einmal erwähnte Jordan, dass die Steuerzahler die SNB in einem solchen Fall werden rekapitalisieren müssen. Wie soll das aber geschehen bei solch masslosen Beträgen, und was wären die Folgen? Jordan vermied diesen Punkt tunlichst; und niemand hakte nach.
Stossend war zudem die Behauptung von Jordan, die Negativzinsen seien eine expansive Geldpolitik. Wie soll das möglich sein?
Mit Negativzinsen will die SNB ihre Bilanz doch verkürzen. Das ist nicht expansiv, sondern kontraktiv. Niemand im Publikum hat das bemerkt oder hatte offenbar zu grossen Respekt vor dem „bösen Polizisten“ Studer, der jeden abkanzelte, der den „lieben Polizisten“ Jordan zu hinterfragen gewagt hätte.
Dass die Negativzinsen eine Strafsteuer zulasten der Sparer sind, um zukünftige Verluste der SNB auf ihren Devisenanlagen zu finanzieren, verschwieg Jordan.
Ein Witz war, dass Jordan das SNB-Studienzentrum Gerzensee, das sieben Millionen pro Jahr kostet, verteidigte; dieses stehe im Dienst der Forschung in der Geldpolitik. Das Problem ist nur: Wenn es einer wagt, die SNB zu hinterfragen, so wird er in Gerzensee immer vor verschlossenen Türen stehen. Dort werden nur die Irrlehren der SNB kultiviert.
Es war einmal mehr eine unsägliche Vorstellung, welche die SNB im alten Casino zu Bern gab. Die SNB präsentierte einen Wirrwarr von Widersprüchen. Mit „Zuckerbrot und Peitsche“ zog sie „ihr Ding“ aber einmal mehr durch und wurde in den entscheidenden zentralen Punkten nie hinterfragt.
Ein Aktionär lamentierte: „Wir sind nur nette, wohl gesehene Statisten, welche den Anschein erwecken, die Hüter der Unabhängigkeit der SNB zu sein.“
Wie Recht er hat. Die GV der SNB war ein abgekartetes Spiel.
Einmal mehr.
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