Demokratie ist, wenn es anders herauskommt, als Meinungsführer, Journalisten und tonangebende Politiker gedacht haben. Die italienischen Wahlen brachten viele Überraschungen, allen voran das faszinierende Comeback von Silvio Berlusconi, der in allen Zeitungen, die ich kenne, seit Jahren für erledigt und für unwählbar erklärt wird. Seine Aufholjagd auf Platz zwei, knapp hinter den sozialdemokratischen Sieger Pier Luigi Bersani, einen früheren Kommunisten, ist die interessanteste Nachricht des Wochenendes, weil die Italiener mit ihrer Berlusconi-Wahl eindrücklich demonstriert haben, dass sie über eine vitale, eigenständige Demokratie verfügen, die immun ist gegen Ratschläge von aussen und Einmischungsversuche von Leuten, die ihre eigenen ideologischen Vorurteile für das Mass aller Dinge halten. Dem von Brüssel favorisierten Technokraten Mario Monti, selber ein Meister der ironisch-verspielten Arroganz, erteilten die Italiener eine schroffe Absage, die europaweit Kopfschütteln auslöste. Sie wissen besser als Merkel und Co., welche Politiker für ihr Land gut sind.
Auch in den Pressekommentaren zu Italien kommt eine erstaunliche Verachtung der demokratischen Entscheide zum Ausdruck. Die besonnene Neue Zürcher Zeitung beschimpft die Wähler und spricht von «destruktiver Energie» und «politischen Rattenfängern». Sie fragt sich, ob man «den beachtlichen Zulauf für Berlusconi und Grillo» nicht «mit einer italienischen Lust an Frivolität und Selbstzerstörung erklären» müsse. «Erst der Albtraum, dann das Erwachen», schreibt die Süddeutsche Zeitung und kommentiert von oben: «Es regieren Populismus, Geschrei und Lüge».Das Bemühen, die Gründe zu verstehen, weshalb die Italiener dem Polit-Berserker Beppe Grillo und dem angeblich abgewrackten Silvio Berlusconi rund 55 Prozent der Stimmen gaben, hält sich in Grenzen. Stattdessen sollen die unterbelichteten Südländer belehrt werden: «Italiens Wähler haben eine ganz simple Botschaft an der Urne hinterlassen: ‹Wir haben nicht verstanden.› Beschimpfen darf man sie deswegen nicht, sie leben in einem politischen Klima, das die Halbwahrheit befördert und die Satire zur Staatsräson erklärt.» So schrieben Kolonialherren über ihre Untertanen.
Kann es sein, dass die Chronisten irren? Kann es sein, dass die Italiener sehr wohl verstanden haben? Zwei Botschaften sind doch nach der Wahl zweifelsfrei erkennbar. Die erste ist eine schallende Ohrfeige an die politische Klasse. Wenn ein amtierender Komiker mit wilden Tiraden gegen Vetternwirtschaft in der Politik und unter anderem mit der Forderung nach mehr direkter Demokratie auf Anhieb 25 Prozent erreicht, artikuliert er ein offenbar weitverbreitetes Unbehagen. Die Italiener wissen höchstwahrscheinlich selber, dass der Antipolitiker Grillo nicht unbedingt die Idealbesetzung eines Regierungschefs abgibt, aber sie haben ihn trotzdem gewählt, weil ihnen die radikale Absage ans politische Establishment gefällt. Das ist nicht erstaunlich in einem Land, das seine Politiker und Beamten mit Privilegien und beträchtlichen Summen beglückt. Berlusconi selber hat mit Kampfansagen gegen die Bürokratie und zu hohe Steuern mehrmals Wahlen gewonnen, wenn auch nicht die erhofften Resultate geliefert. In Wahlen kommt es auf die Botschaft an.
Die zweite Erkenntnis lautet: Die Italiener wollen nicht von Brüssel aus ferngesteuert werden, sondern mehr Unabhängigkeit für die Lösung ihrer eigenen wirtschaftlichen Probleme. Monti wurde als professoraler Statthalter der EU empfunden, als etwas blutleerer, wenn auch intelligenter Apparatschik, der zwar dauernd von Reformen redete, die eine oder andere Reform auch durchdrückte, vor allem aber die Steuerquote von 42,5 auf 45,1 Prozent des Bruttosozialprodukts erhöhte. Merkel, Barroso und die meisten Chefredaktoren hätten Monti gewählt, was wiederum zeigt, wie weit sich die Euro-Elite von den gewöhnlichen Leuten entfernt hat. Dass Berlusconi in Brüssel angeblich so verhasst ist, war für die Italiener erst recht ein Grund, ihn, den «Cavaliere», zu wählen (dies aber bei den Umfragen zu verschweigen). Der Nationalstaat bleibt eine Realität in Europa. Der in Berlin, Brüssel und Paris geschmiedete Plan, die europäischen Probleme durch noch mehr EU und noch mehr Zentralismus zu lösen, ist an den italienischen Urnen zurückgewiesen worden. Auch die Italiener wollen zurück zum Kontrollier- und Überschaubaren.
Weniger Europa, weniger Classe politique und mehr Mitsprache für die Bürger: Das sind wichtige Botschaften dieser Wahl. Kein Lager bekam ein klares Mandat. Darin drückt sich ein allgemeines, nachvollziehbares und durchaus vernünftiges Misstrauen gegenüber der Politik aus. Die Schweiz hat auf solchen Instinkten ihren Staat aufgebaut, dabei aber das Volk als Souverän mit greifbaren Entscheidungsgewalten installiert. In Italien fehlen die entsprechenden Instrumente, aber ein Bedürfnis danach ist sichtbar. Die EU-Krise hat die Ohnmachtsgefühle der Bürger in den meisten repräsentativen Demokratien verschärft. Je eigenmächtiger Brüssel, Berlin und Paris für alle entscheiden, je weniger die Leute das Gefühl haben, noch etwas zu sagen zu haben, desto heftiger meldet sich der Widerstand. Den Urschrei der Wähler gegen die Eliten verkörpert in Italien modellhaft der Komiker Beppe Grillo. Man sollte die Signale ernst nehmen. In Grossbritannien lenkte Regierungschef David Cameron ein und versprach den Wählern eine Volksabstimmung über die EU-Zugehörigkeit des Landes. Mehr direkte Demokratie ist in Europa das Gebot der Stunde.
Der Wahlausgang wird von Medien und Politikern wahrscheinlich dramatisiert. Sicher stimmt es, dass die Regierungsbildung harzig wird. Allenfalls drohen baldige Neuwahlen. Die italienische Politik war noch nie eine sonderlich effiziente Maschine. Ironischerweise lieferte der vielkritisierte Testosteronpolitiker Berlusconi in den letzten zwanzig Jahren die stabilsten Verhältnisse. Man wird allerdings davon ausgehen dürfen, dass sich die Italiener auch aus dieser Lage wieder irgendwie herauswursteln werden. Not macht erfinderisch. Für Brüssel freilich bedeuten diese Wahlen eine schlechte Nachricht: Das politische Fundament des europäischen Projekts bröckelt. Die EU erweist sich als Schönwetterkonstrukt, von dem sich die Leute in schwierigeren Zeiten abwenden.
Bevor der Bundesrat alles unternimmt, um das neben Deutschland vermutlich einzige wirklich funktionierende Land Europas, die Schweiz, enger an den wankenden Koloss zu binden, sollte er zur Kenntnis nehmen, dass sich immer mehr Europäer, wenn man sie denn dazu fragt, von der EU entfernen.
Kommentare
- Romano Zweiacher
- 27.02.13 | 20:37 Uhr
…. ein klares Zeichen der Italiener….! “wir haben lieber einen Berlusconi als 44 000 EU Beamte, die auf unsere Kosten schwelgen….! ”
Nur zu verständlich. Nun, Europa muss wahrscheinlich wirklich kommunistisch werden, biss es alle “Nichtitaliener” merken.
Die EU ist nur ein luxuriöses “Kommunistenmonster” und zudem völlig unnötig!
- andre bernard
- 27.02.13 | 20:10 Uhich freue mich sehr über diesen Artikel. Sehr gut und richtig haben Sie geschriebenBravo Herr Roger Köppel.
Lebe jetzt in der Schweiz, lebte je 20 Jahren in Italien und Deutschland
Tags: Beppe Grillo,Silvio Berlusconi
1 comment
alebernie
2013-03-01 at 09:19 (UTC 2) Link to this comment
Genau auf dem Punkt!