11. Januar 2021 – Lesen Sie nachfolgend einen Auszug aus der von Hardy Bouillon verfassten Einleitung zum Buch „Die Theorie der dynamischen Effizienz“ von Professor Jesús Huerta de Soto – eine Aufsatzsammlung, die im vergangenen Jahr im Verlag Duncker & Humblot erschienen ist. Herausgeber des Buches ist ebenfalls Hardy Bouillon.
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Die Theorie der dynamischen Effizienz ist eine Aufsatzsammlung. Insofern ähnelt sie dem letzten Band in dieser Reihe. Auch Mensch versus Staat von Herbert Spencer entstand aus einer Reihe von Aufsätzen, die der Autor im Verlauf einer größeren Zeitspanne verfasste und dem Leser einen ungewöhnlichen Einblick erlaubt; einen Einblick in die Entwicklung des Autors, die ihn umgebende Zeitgeschichte und in die im Wechselspiel von Theorie und Geschichte entstandenen Grundthesen. Im vorliegenden Fall geben die ausgewählten Aufsätze Aufschluß darüber, was Jesús Huerta de Soto in einem Zeitraum von knapp 25 Jahren sowohl erfahren, analysiert als auch weiterentwickelt hat. Der Bogen, den er spannt, ist weit. Aber nur so kann er erörtern, was für die Beantwortung der zentralen Frage seines Forschens von Bedeutung ist: Welche Rahmenbedingungen, welche Institutionen müssen vorhanden sein, damit der Unternehmer unter Ausschöpfung seines Kreativvermögens im Markt das auszulösen vermag, was zur dynamischen Effizienz des gesellschaftlichen Kooperationsprozesses führt? Und natürlich: Welche Institutionen dürfen es nicht sein, um der Gefahr zu entgehen, dass die unternehmerische Funktion gehemmt oder gar ganz außer Kraft gesetzt wird?
Eines wird dem Leser schnell klar: Huerta de Soto verwendet einen weiten Institutionsbegriff. Es geht um Institutionen im Sinne gewachsener, spontaner Konventionen, um „weiche“ Institutionen (Werte, Prinzipien, Religion u. ä.), aus denen die „harten“ Institutionen (z. B. staatliche und suprastaatliche Einrichtungen, Gesetze etc.) geformt werden, und zwar durch menschliches Planen und Konstruieren. Doch Planung und Konstruktion bergen eine Gefahr. Die harten, künstlichen Institutionen können zum Menschen, seiner Freiheit und zu dem, was seinen Wohlstand ermöglicht, passen oder nicht. Wenn man so will, dann kann man Huerta de Sotos Aufsätze in diesem Band als eine Ansammlung von Antworten auf die Frage nach den richtigen Institutionen für ein Leben in Freiheit und Wohlstand verstehen, für ein Leben, das sein Wohlergehen der Wahrnehmung der unternehmerischen Funktion in einem Umfeld verdankt, die der dynamischen Effizienz bestmögliche Bedingungen gewährt.
Den Auftakt zu diesen Antworten bildet ein Aufsatz, der einführend erläutert, wie der Autor seine Theorie der dynamischen Effizienz verstanden haben will. Es folgen (ein langer und ein kurzer) Aufsatz zu methodologischen und terminologischen Fragen. Sie erleichtern dem Leser die Einordnung in das wirtschaftstheoretische Gesamtbild, in dem die Österreichische Schule der Nationalökonomie einen besonderen Platz einnimmt. Ein Missverstehen ihrer Grundposition würde die Lektüre vieler der Folgeaufsätze erschweren. Umgekehrt erleichtert ihre Erörterung und Einbettung in den „anhaltenden Methodenstreit“ das Lesen der Folgebeiträge.
Den ersten drei Aufsätzen zum Auftakt folgen drei Analysen zu dem, was Huerta de Soto unter Unternehmertum, genauer: unter der unternehmerischen Funktion, versteht, warum der Sozialismus in all seinen Ausprägungen unter Verkennung dieser Funktion nicht nur praktisch, sondern auch theoretisch unmöglich ist, und wie die unternehmerische Funktion auch in jenen Bereichen (wie hier z. B. im Umweltsektor) funktionieren kann, die in der neoklassischen Wirtschaftstheorie traditionell dem Refugium staatlicher oder suprastaatlicher Entscheidungen zugeordnet werden.
Auch ordnungs- und sozialpolitische Fragen werden weithin gerne als Refugium des Staates und seiner Organe betrachtet, zum Teil auch aus Mangel an Fantasie. Kann es einen liberalen Nationalismus geben? Was sagen Libertäre zur Migrationsfrage? Wie sähe ihre Antwort auf die Frage nach der sozialen Sicherheit aus? Huerta de Soto greift derlei Fragen in den Kapiteln 7-9 auf und bietet eine breite Palette an Lösungen an.
Danach wechselt er zu Themen der monetären Ordnung und kapitalistischen Ethik.[1] Dabei geht es um das richtige Bankensystem, eines, das sich auf die 100-prozentige Deckung der Sichteinlagen besinnt und vom Teilreservesystem abrückt, das eine ungedeckte Kreditvergabe zulässt. Eine Kaufkrafterhöhung aus dem Nichts birgt aber ein hohes Risiko, das die monetäre Ordnung instabilisiert und nicht nur ökonomisch, sondern auch moralisch verwerflich ist und somit mit der wahren Ethik des Kapitalismus, zu der – wie der Autor zeigt – Hayek und Kirzner wichtige Impulse gegeben haben, kollidiert.
Die zweite Hälfte der Aufsätze beginnt mit Theoriebetrachtungen, die es dem Autor erlauben, den Einfluss seiner Mentoren – Mises, Hayek, Kirzner und Rothbard – auf das eigene Denken stärker ins rechte Licht zu rücken. Hier stellt er auch sein Modell der drei Handlungsebenen vor, das er als Übergang zu diversen Anwendungsfragen nutzt, z. B. für die nach der Rolle der Politiker und der Direktdemokratie.
Die genannten Mentoren des Autors vertreten allesamt – wie der Autor selbst – die eine oder andere jüngere Generation der Österreichischen Schule der Nationalökonomie. Huerta de Soto ist auch daran gelegen, unsere Aufmerksamkeit auf die Vorläufer dieser Schule zu lenken. An sie, an Juan de Mariana sowie die übrigen Scholastiker der Schule von Salamanca, und an ihre Beiträge zur Geld- und Banktheorie sowie zum Subjektivismus, erinnert der Autor in den Kapiteln 14 und 15.
Diesen Kapiteln folgt eine ausführliche Hommage an Ludwig von Mises, dessen Hauptwerk Human Action und deren komplexe Entwicklungsgeschichte, die mit Nationalökonomie. Theorie des Handelns und des Wirtschaftens ihren Ausgang nahm, und dann, nach Übertragung des Traktats ins Englische, mehrere Umarbeitungen und Erweiterungen durch den Autor und eine Vielzahl von Übersetzungen erfuhr. Im Anschluß an diese Hommage folgt ein Nachruf auf Murray Rothbard, der – wie man zwischen den Zeilen kaum verkennen kann – den Autor nur wenig minder geprägt haben dürfte, als Mises es getan hat.
An Hayek erinnert Huerta de Soto auf andere Weise; zum einen durch eine Ausweitung des „besten Tests“, mit dem man laut Hayek herausfinden kann, wer ein guter Ökonom ist, und zum anderen durch eine Darstellung des nach Hayek benannten Ricardo-Effekts. Beide, Test und Effekt, gelten ein und demselben Phänomen. Der (künstliche) Lohnanstieg – er mag noch so gut intendiert sein – kommt nicht dort an, wo er gewünscht ist, weil er die Unternehmer zur wirtschaftlichen Korrektur zwingt. Um es in den Worten des Autors zu sagen: „Die Unternehmer finden es attraktiver, Kapitalgüter statt Arbeit zu nutzen. Dies stellt einen wirkungsvollen Effekt dar, der dazu führt, dass die Stufen der Produktionsstruktur länger werden.“
Eine Ausnahme formaler Art unter allen Aufsätzen der vorliegenden Sammlung bildet Kapitel 20. Es ist ein Interview, das der eine als eine Art Zwischenresüme, der andere als Einstimmung zum Buch lesen mag. Auf jeden Fall spannt es einen leicht verständlichen Bogen über alle zentralen Themen des Buches.
Den Abschluss der Aufsatzsammlung bilden zwei neuere Beiträge des Autors. Im ersten der beiden bricht er eine Lanze für den Euro, und zwar aus Sicht der Österreichischen Schule der Nationalökonomie. Im zweiten geht es um die Rolle des Anarchokapitalismus in der Welt von morgen. Der Autor meint, dass den libertären Anarchokapitalisten der revolutionäre Erfolg gelingen könne, der dem Klassischen Liberalismus aus Gründen theroetischer Inkohärenz versagt geblieben sei.
[1] In der englischen Originalfassung, nach der die deutsche Ausgabe übersetzt wurde, ist noch ein weiterer Aufsatz (als Kapitel 11) zum Teildeckungssystem der Banken enthalten. Für die deutsche Ausgabe wurde auf ihn aus Gründen, die wir gegen Ende unseres Vorwortes darlegen werden, verzichtet.
Hardy Bouillon (*1960) studierte Philosophie und Kunstgeschichte zunächst in Trier, danach als ISEP-Stipendiat an der University of New Mexico in Albuquerque, USA. Nach einem Jahr als Austauschstipendiat am Jesus College der Oxford University kehrte er nach Trier zurück und beendete das Magisterstudium mit der Note sehr gut. Gefördert durch ein Promotionsstipendium des Landes Rheinland-Pfalz legte er 2 Jahre später im Fach Philosophie der Universität Trier seine summa cum laude bewertete Dissertation vor. Von 1989 bis 1990 war Bouillon Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Prof. Dr. Gerard Radnitzky, danach Habilitationsstipendiat der Gerda Henkel-Stiftung. 1995 habilitierte er und erhielt die venia legendi für Politische Philosophie an der Universität Trier, wo er seither regelmäßig lehrt, zunächst als Privatdozent, später (ab 2008) als Außerplanmäßiger Professor. 2010-2015 war er Professor for Philosophy and Economics an der Swiss Management University. Seit 2016 ist er Fellow an der Liechtenstein Academy. 1993 gründete Bouillon die Beratungsagentur Public Partners und war danach viele Jahre für europäische Denkfabriken tätig, u.a. für das Brüsseler Centre for the New Europe (1998-2004) und die New Direction Foundation (2010-2015). Parallel dazu nahm er Lehrstuhlvertretungen an der Universität Duisburg-Essen (2007-2009) und an der Frankfurt School of Finance and Management (2013) sowie Gastdozenturen wahr, namentlich in Prag (2004), Salzburg (2005), Zagreb (2006) und Wien (2009). Forschungsaufenthalte führten ihn u.a. an das International Centre for Economic Research (ICER) in Turin (2009) und an die Hoover Institution der Stanford University, USA (2016). Inzwischen hat Bouillon seine diversen Funktionen gegen seine Forschungsaktivitäten eingetauscht. Er lebt und arbeitet heute als wissenschaftlicher Autor und Übersetzer in Trier.
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Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Institut Deutschland wieder.
Foto: youtube
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