Der frühere UBS-Banker und Ökonom George Dorgan sieht in der Debatte um die Goldinitiative vier Fronten aufeinander prallen. Dabei wird die Abstimmung über das Schweizer Gold immer mehr zu einem Entscheid über den Fortbestand oder die Abschaffung des Euro-Mindestkurses.
Als erste Gruppe bezeichnet Leute, die in Sachen Finanzfragen unbedarft sind. Für diese Menschen repräsentiere Gold vor allem Sicherheit und Reichtum. Sie hätten Angst vor Schulden nach den Erfahrungen aus der Finanzkrise.
1. Die Gruppe der Unbedarften
Diese Gruppe wähle eher Ja (was auch die jüngste SRF-Umfrage stützt). Viele Vertreter dieser Gruppe hätten verstanden, dass Gold vor Verschuldung und Inflation schütze, sagt der Ökonom Dorgan.
Der Gewerkschaftsökonom Daniel Lampart sei hier der Widerspruch in sich. Er teile die gleiche Meinung wie die Arbeitgeber (siehe Gruppe 2). Er scheine aber zu verkennen, dass seine Klientel, nämlich die Lohnempfänger und Geringverdiener, durch steigende Preise für Mieten und Lebensmittel bisher keine grossen Vorteile vom starken Franken gehabt hätten, so Dorgan.
Und weiter: «Derselbe Lampart, der 2011 noch einen Euro-Mindestkurs von 1.40 Franken forderte, der unweigerlich in noch höhere Mieten und Inflation gemündet hätte, scheint nun einerseits von der unendlichen Stärke der Zentralbanken überzeugt, und andererseits von einem schweizerischen Minderwertigkeitskomplex geprägt zu sein, wonach die Schweizer nicht innovativ und nicht «hard-working» wären.
2. Die Gruppe der «Finanzexperten» oder «einigermassen» versierten Leute
Diese Gruppe sei mit der Schweizerischen Nationalbank (SNB) auf einer Linie, wenn es um den Euro-Mindestkurs geht, sagt Dorgan. Es gehe schliesslich darum, «Arbeitsplätze in der Schweiz zu sichern». In dieser Gruppe sähen einige ihre Arbeitsplätze durch die andauernde Immigration von hochqualifiziertem Personal oder durch das Outsourcen von Tätigkeiten, etwa im Bankenbereich, gefährdet.
Dorgan sagt: «Viele Vertreter dieser zweiten Gruppe besitzen Schweizer Aktien, die durch ein Ja-Votum an Wert verlieren würden. Die meisten haben verstanden, dass ein Ja zum Goldreferendum ein Ende der Euro-Untergrenze bedeuten würde. Diese Gruppe wählt eher Nein.»
3. Die Gruppe der Gold-Bugs
Diese Gruppe nehme auf Grund der Österreichischen Schule an, dass nach dem Aufblähen der Notenbank-Geldmenge durch die Zentralbanken früher oder später die grosse globale Kredit- und Preisinflation und der Zusammenbruch der Geldsysteme stattfinden werde, so Dorgan.
Gold-Bugs würden oft denken, dass der Euro genau wie der Dollar seit 1970 seinen Wert verlieren werde, und dass nur Gold ihn behalten wird. Mit der Bindung an den Euro gehöre der Franken auch zu diesen «Fiat»-Währungen (Papiergeld). Ausserdem nähmen die Gold-Bugs an, dass die USA und Südeuropa prädestiniert seien für Inflation und Schulden, während die Schweizer von der Mentalität her angeblich anders denken würden.
Die Bindung an den Euro und an die Inflationsländer würde früher oder später zu einem Zusammenbruch der Nationalbank führen, argumentiere etwa auch der notorische SNB-Kritiker Marc Meyer. «Diese Gruppe wählt Ja», erklärt Dorgan.
SNB-Präsident Thomas Jordan gehörte laut Dorgan im Jahr 1999 zwar nicht zu den Gold-Bugs, aber er erklärte, dass die Schweiz sich nicht an den Euro binden sollte, da früher oder später die gleiche Inflation entstehen und die Schweiz ihren Vorteil niedriger Zinssätze und Finanzierungskosten verlieren würde (Link zum Paper).
4. Die Gruppe der Monetaristen und die Anhänger der Österreichischen Schule
Sie würden nicht mit eine Kollaps der Geldsysteme rechnen, führten aber an, dass die SNB ihrem Auftrag, Kreditblasen zu vermeiden, durch den Mindestkurs nicht mehr nachkommen könne. Auch widerspiegle die heutige Preisinflation nicht die kommende Preisinflation, die durch eine Schuldeninflation ausgelöst werde, erklärt Dorgan.
Die SNB verletzte explizit ihr geldpolitisches Mandat insofern, als dass «die Zinsen nicht zu lange zu niedrig» bleiben dürften, da es (laut Mandat und auch in der Realität) sonst zu Asset-Blasen komme. Die SNB entgegnet diesem Vorwurf mit dem antizyklischen Kapitalpuffer, der die Immobilienblase bekämpfen soll, wie Dorgan weiter ausführt.
Weiter sagen sie: «Wenn der Euro bei 1.20 Franken bleiben sollte, dann hätte die SNB die Souveränität über die Geldpolitik verloren. Auch sei der antizyklische Kapitalpuffer auf den Immobilienmarkt beschränkt, Investitionsblasen könnten auch anderswo entstehen. Laut Ökonom Nouriel Roubini kann dieser Puffer lediglich Bankenkrisen, aber keine Immobilienblasen verhindern.»
Nationalbank in der Kritik
Die Gruppen 3 und 4 beschuldigen die Nationalbank, die Schweiz in den Euro, in ein Platzen der Immobilienblase oder möglicherweise sogar in beides führen könnte. Ein Experte, der dieser vierten Gruppe angehört, ist der emeritierte Schweizer Finanzprofessor Martin Janssen, wie Dorgan weiter feststellt.
Janssen erinnert dabei an die extreme Geldmengenausweitung der SNB und findet, dass die SNB eine «managed currency appreciation» respektive einen 1 bis 2 Prozent stärkeren Franken pro Jahr zulassen sollte.
Franken schon jetzt schwach
Einige Vertreter der Gruppe 4 seien der Überzeugung, dass der Franken schon jetzt zu schwach sei und die Exportwirtschaft zu Ungunsten der Menschen, insbesondere schlechter verdienenden Arbeitnehmer, profitiere, wie Dorgan weiter ausführt. Mit der Einführung des Mindestkurses 20 Prozent über dem Marktkurs im Sommer 2011, habe die SNB die einfache Regel «Buy low» für Zentralbanken-Interventionen verletzt.
Im Gegensatz zu den Gold-Bugs würden einige Vertreter der vierten Gruppe denken, dass die nächste grosse Inflation möglicherweise nicht in den typischen Inflationsländern wie den USA oder Südeuropa stattfinden werde, sondern in jenen Staaten mit einer tiefen Arbeitslosigkeit wie Deutschland oder der Schweiz.
Trotzdem Inflation und Immobilienkrise
Dies bedeute eine Wiederholung der 6-prozentigen Inflation in der Schweiz von Anfang der Achtziger oder ein Platzen der Immobilienblase wie in den Neunzigern. «Die vierte Gruppe wählt meist Ja», sagt Dorgan, wobei einige Vertreter sich die Frage stellten, ob die harte 20-Prozent-Mindestquote für Gold Sinn mache. Ausserdem sei zu beachten, dass der Goldanteil in der SNB-Bilanz in den Neunzigern über 40 Prozent betrug und es trotzdem zu Inflation und einer Immobilienkrise kam.
Damals wurden allerdings die hohen Zinsen der SNB dafür verantwortlich gemacht. Jean-Pierre Danthine, der aktuelle Vizepräsident der Nationalbank, gehört gemäss Dorgan auch zu dieser vierten Gruppe. Danthine sagte: «SNB would end franc cap once it raises interest rates.»
Fünf Jahre Zeit
In den vergangenen Jahren aber, hätten Privatpersonen in den USA, in Südeuropa und seit kurzem auch in vielen Schwellenländern ihre Schulden reduziert respektive aufgehört, sich durch Antizipieren zukünftiger Einkommen zu verschulden. Dieser Trend wirke der Ausweitung der Geldmenge der SNB und anderer Notenbanken entgegen, sagt Dorgan.
Finanzprofessor Janssen indessen denke, dass ein Entscheid für die Goldinitiative der SNB die Möglichkeit geben würde, über eine Zeitdauer von fünf Jahren Euro oder Dollar zu verkaufen [Anmerkung: Dollar-Gewinne zu realisieren] und damit Gold zu kaufen.
Abstimmung wird zur Grundsatzfrage
Mehr Gold in der Bilanz würde gemäss Dorgan zweifelsohne eine disziplinierende Wirkung auf die SNB haben. Natürlich könnte der Euro-Mindestkurs dabei nicht beibehalten werden, was das potenzielle Problem des «unverkäuflichen Gold» lösen würde.
So hätten auch viele Anhänger der Gruppe 2, aber auch die Initianten verstanden, dass das Goldreferendum zu einer Abstimmung über den Fortbestand respektive die Absetzung des Euro-Mindestkurses geworden sei, kommt Dorgan zum Schluss.
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