Heiner Flassbeck- “Deutschland lebt seit Jahren unter seinen Verhältnissen” (Deutschlandfunk/ 22.06.2010)
Playlist: http://www.youtube.com/view_play_list?p=F330CAF5C7C1D950 Ehemaliger Staatssekretär im Finanzministerium über die wirtschaftliche Rolle Deutschlands Das G20-Treffen in Toronto steht bevor. Dort werden auch mögliche Konsequenzen aus der Finanzkrise für die jeweiligen Staaten diskutiert. Heiner Flassbeck, Chefvolkswirt bei der UNCTAD, der UNO-Organisation für Welthandel und Entwicklung, sagt, Deutschland lebe wirtschaftlich unter seinen Verhältnissen und dürfe deshalb den Gürtel nicht noch enger schnallen. Dirk-Oliver Heckmann: Große Erwartungen sind mit dem G20-Treffen verbunden, das am Samstag im kanadischen Toronto eröffnet wird – wird doch gehofft, dass Konsequenzen gezogen werden aus der weltweiten Finanzkrise, die sich zur größten Wirtschaftskrise seit den 30er-Jahren ausgewachsen hatte. Wie können die außer Rand und Band geratenen internationalen Finanzmärkte wieder an die Kette genommen werden? Das ist eine Frage, die im Zentrum der Beratung steht. Die chinesische Zentralbank überraschte derweil mit der Ankündigung, die Bindung des Yuan an den Dollar aufzuheben, was vor allem in den USA auf ein positives Echo stieß. Am Telefon begrüße ich jetzt Heiner Flassbeck, er ist im Jahr 1998 von Oskar Lafontaine als Staatssekretär ins Bundesministerium der Finanzen geholt worden. Seit dem Jahr 2000 ist er Chefvolkswirt bei der UNCTAD, der UNO-Organisation für Welthandel und Entwicklung in Genf, und er ist Autor zahlreicher einschlägiger Publikationen. Schönen guten Morgen, Herr Flassbeck. Heiner Flassbeck: Guten Morgen. Heckmann: Beginnen wir mit der Nachricht vom Wochenende. Die chinesische Zentralbank hat angekündigt, die feste Bindung des Yuan an den Dollar zu lösen. Damit ist die Erwartung verbunden, dass die Ungleichgewichte im internationalen Außenhandel abgebaut werden. Ist diese Erwartung Ihrer Ansicht nach angemessen? Flassbeck: Nun, die Erwartung ist angemessen, aber es hängt nicht nur allein an dem Wechselkurs der chinesischen Währung zum Rest der Welt. Das ist eher der kleinere Teil. Im Moment explodieren die Importe nach China ohnehin schon. Schauen Sie an: Deutschland hat im ersten Quartal 58 Prozent mehr Güter nach China exportiert. Das heißt, in China ist ein Boom unterwegs, es gibt eine sehr hohe Wachstumsrate. Und was man hier immer nicht weiß und nicht bedenkt: die Löhne steigen sehr stark und dadurch steigt auch die Kaufkraft der Konsumenten. Der Inlandskonsum brummt und das ist viel wichtiger noch als der Wechselkurs der Währung. Heckmann: Blicken wir mal auf die Folgen für Deutschland. China ist für die deutsche Exportindustrie, für die Werkzeugbauer, auch für die Automobilindustrie, ein immer wichtigerer Markt. Das heißt, die Exportchancen dieser Industrien hier in Deutschland werden sich weiter verbessern? Flassbeck: Ja, die verbessern sich weiter. Nur wir müssen immer bedenken: wenn China keinen Leistungsbilanzüberschuss mehr hat, dann gibt es nur noch ein Land auf dieser Welt mit einem großen Leistungsbilanzüberschuss, und das ist Deutschland, und dann wird sich die ganze internationale Kritik auf Deutschland richten. Also wir sollten jetzt nicht abfeiern, dass wir noch mehr exportieren, sondern überlegen – und das wird ja auch in Toronto diskutiert werden; neben China ist ja Deutschland der zweite Problemfall -, wie auch hier die Inlandsnachfrage stärker steigen kann. Wir haben ja den Brief von Herrn Obama an alle G20-Mitglieder gesehen, in dem klar drinsteht, dass alle mehr tun müssen und nicht sparen müssen, vor allem die nicht sparen sollen, die in einer guten Situation sind, und das heißt eindeutig, die Leistungsbilanzüberschüsse haben. Heckmann: Die chinesische Wirtschaft wächst in diesem Jahr laut Prognose um zehn Prozent. Sie haben es gerade eben schon gesagt: eine Ursache ist die verstärkte Inlandsnachfrage auch in China. Das heißt, wir können aus dieser Wirtschaftspolitik lernen? … Quelle: http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/1208260/ — Heiner Flassbeck (* 12. Dezember 1950 in Birkenfeld, Nahe) ist ein deutscher Wirtschaftswissenschaftler. Er war von 1998 bis 1999 beamteter Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen und ist ein führender Vertreter der nachfrageorientierten Wirtschaftspolitik in Deutschland. Seit November 2000 ist er Chef-Volkswirt (Chief of Macroeconomics and Development) bei der UNO-Organisation für Welthandel und Entwicklung (UNCTAD) in Genf. Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Heiner_Flassbeck — |
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