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Geopolitischer Fehler 2. Art – extended version

Wohin man schaut: In allen – auch militärischen – Zeitschriften werden seit Monaten Beiträge publiziert, welche im aktuellen Ukraine-Konflikt, dem russischen Präsidenten Putin den schwarzen Peter zuschieben. Da wird vom Propagandakrieg gesprochen, von Provokationen der russischen Luftwaffe an Russlands (sic!) Grenze und von der “Annektierung” der Krim. Die Texte strotzen nur so von negativ konnotiertem Vokabular. Penetrant wird uns eingetrichtert, wen wir zu fürchten hätten. Es ist wie früher: Der Feind kommt aus dem Osten und der Westen verteidigt Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Herrlich – endlich wieder eine Welt, die dem gängigen Stereotyp entspricht und welche noch genug gut in den Köpfen verankert ist. Viele fühlen sich bestätigt. Die “Stahlhelm-Fraktion” aus dem Kalten Krieg ist wieder da.

Die Frage ist nur: Liegen wir mit dieser Einschätzung richtig? Sitzt der Aggressor wirklich in Moskau? Oder wird uns hier ein (russischer) Bär aufgebunden? Zweifel sind nicht nur angebracht, sondern sind besonders für uns neutrale Schweizer Pflicht!

Wieso ist das überhaupt wichtig?

Es könnt ja gut, sein, dass wir einem “sicherheitspolitischen Fehler zweiter Art” unterliegen – d.h. die uns präsentierte Stichprobe an Informationen (Auswahl und Inhalt der Medienberichte, allenfalls auch der Nachrichtendienste) führt uns in der Analyse zu einem falschen Schluss. In unserem Fall wäre das besonders fatal: Dann wären wir nicht etwa von einem “Speckgürtel an Freunden”, sondern von einem aggressiven Angriffs-Bündnis umgeben.

Würde also unsere Analyse zum Schluss kommen, dass die russische Seite mit ihren Sicht auf die Lage in der Ukraine und die Absicht des Westens nächer an der Realität liegt, müsste dies konsequenterweise zu einem fundamentalen Wechsel in unserer Aussenpolitik führen. Die Frage wäre dann: Wollen wir mit einem Lügen-Bündnis (über PfP) unter einer Decke stecken und so unsere Neutralität (weiter) schwächen? Die Schweiz müsste sofort politisch auf Distanz gehen und sich sicherheitspolitisch neu ausrichten. Die Analyse ist also sehr relevant und von sicherheitspolitisch grosser Bedeutung.

Einseitige Berichterstattung, Behauptungen und fehlende Beweise

An dieser Stelle sei an ein Zitat von Propaganda-Spezialist Josef Göbbels erinnert:

“Wenn man eine große Lüge erzählt und sie oft genug wiederholt, dann werden die Leute sie am Ende glauben. Man kann die Lüge so lange behaupten, wie es dem Staat [sic!] gelingt, die Menschen von den politischen, wirtschaftlichen und militärischen Konsequenzen der Lüge abzuschirmen. Deshalb ist es von lebenswichtiger Bedeutung für den Staat, seine gesamte Macht für die Unterdrückung abweichender Meinungen einzusetzen. Die Wahrheit ist der Todfeind der Lüge, und daher ist die Wahrheit der größte Feind des Staates.”

Es fällt doch auf, dass unsere “Qualitätsmedien” die ihnen präsentierten Nachrichten und Meinungen kaum hinterfragen. Gegenteilige Meinungen werden entweder unterdrückt oder gefliessentlich übergangen. Der Grundtenor bleibt: Der Russe ist der Böse. Gleichzeitig fällt auf, dass wir von den westlichen (gleichgeschalteten) Medien kaum kritische Fragen über das Vorgehen der NATO vernehmen. Selbst von Staatsoberhäuptern, Delegierten von internationalen Organisationen und Generälen werden angebliche “Fakten” (“The facts are the facts are the facts”) in die Welt gesetzt, welche kaum jemand überprüft. Man beruft sich auf “gut informierte Quellen” und “Geheimdienstinformationen”, (veraltete) Satellitenbilder oder auf die an Pressekonferenzen wiederholte Kernbotschaft. Wer dennoch den Finger hebt und auf Ungereimtheiten hinweist, wird ausgegrenzt und öffentlich gebrandmarkt. Ist das nicht suspekt?

Seit Jahren leben wir nun schon unter dieser Einseitigkeit. Das Wichtigste bleibt stets die erste Schlagzeile – sie bleibt in den Köpfen. Wenn dann doch andere Fakten gefunden werden, lassen sich diese weit hinten in den Zeitungen nachreichen oder man lässt sie ganz zwischen Stuhl und Bank fallen, weil gerade ein neuer Skandal die Aufmerksamkeit der Bevölkerung braucht. Beispiel? So entpuppte sich z.B. der Kriegsgrund gegen den Irak (“Massenvernichtungswaffen”) als grosse Lüge. Einen Beweis (sic!) für die Ermordung von Osama bin Laden hat die Welt bis heute nicht gesehen. Das kurz nach der Kommandoaktion im Mai 2012 publizierte Bild wurde sehr schnell als Fälschung enttarnt und verschwand aus der öffentlichen Wahrnehmung [Beilage]. Faszinierend war auch, dass man nur wenige Minuten (!) nach den Anschlägen von 9/11 genau wusste, dass Osama bin Laden dahintersteckt. Jeder Kriminalpolizist müsste vor Neid über die unglaublich grosse Effizienz der Amerikaner platzen und sofort seinen Job an den Nagel hängen.

Interessanterweise korrespondieren die in den Kommentarspalten publizierten Meinungen gar nicht so mit den Propaganda-Berichten. Es gibt also durchaus noch kritische Geister. Aktuell werden solche Zwischenrufe jedoch als “Trolle” ab- und dem russischen Geheimdienst zugeschrieben. Das greift jedoch viel zu kurz.

Wir sind also genau jenen Kräften unterworfen, welche Josef Göbbels beschrieben hat. Wenn hier jemand die öffentliche Meinung manipuliert, so ist das höchst unwahrscheinlich der Russe.

Gute Gründe für westliche Propaganda

Damit kommen wir zur Frage: Wer hat ein Motiv? Wer hat etwas zu Verbergen? Um diesen Fragen nachzugehen, muss man sich weniger auf die militärischen sondern mehr auf die darunterliegenden wirtschaftlichen Aspekte fokussieren. Auf der einen Seite Russland, mit seinen grossen Währungs- und Goldreserven, praktisch schuldenfrei, Teil der aufstrebenden BRICS-Staaten und der Shanghai Cooperation Organization (SCO). Auf der anderen Seite der heillos überschuldete Westen, der seine Goldreserven schon lange nach Indien und China verkauft hat und sich wirtschaftlich mit immer mehr Regulierungen ins Wachstumsabseits stellt. Die Verzweiflung ist auch an der frisch gedruckten Menge (elektronischen) Geldes abzulesen, welche das Geldsystem am Leben erhält und die Aktienkurse und Preise für Kunstgegenstände in ungesunde Höhen erklimmen lässt. Wer hat da nun mehr zu verlieren? Wem kommt eine internationale Krise besser zupass?

Was gäbe es denn zu verbergen? Hat nicht der Westen Russland nach dem Fall der Berliner Mauer und der Wiedervereinigung Deutschlands versprochen hat, dass sich die NATO nicht nach Osten ausdehnen wird? Heute steht die NATO direkt vor der Haustüre Russlands und lässt über den NATO-Generalsekretär die neuen Länder massiv in die Rüstung investieren (z.B. Polen, Bulgarien). Auch die Ukraine soll – obschon (noch) nicht NATO-Mitglied – militärisch aufgepeppelt werden. Da spielt es dann auch keine Rolle mehr, dass die Gesundung des Staatshaushalts plötzlich in den Hintergrund rückt. Oder wie beurteilen Sie den Umstand, dass der Westen in den letzten Jahren rund USD 5 Mia. (!) in die verschiedenen farbigen “Revolutionen” in der Ukraine gepumpt hat und so direkten Einfluss auf die (pro-europäische) Bewegung genommen hat? Ist das legitim? Oder wie erklären Sie sich, dass die verschiedenen Komponenten des US-“Raketenschirms” nicht etwa um den “gefährlichen” Iran, sondern rund um Russland aufgestellt werden und so das atomare Gegengewicht zur USA neutralisieren? Wie kommt es, dass der Westen die ihm genehmen Wahlen und Abstimmungen anerkennt (z.B. die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo), aber Referenden zum Anschluss der Krim an die Russische Föderation als “undemokratisch” missbilligt?

Fruchtbarer Boden für Propaganda

Damit Propaganda funktioniert, braucht es zwei Seiten: Korrumpierte (staatliche oder staatsnahe) Medien und eine leichtgläubige Bevölkerung. Dem System abträglich sind alternative Quellen und Medienprodukte. Diese werden für ihre “Abtrünnigkeit” systematisch in der öffentlichen Diskussion diffamiert (Dabei müssten wir doch in einem Staat, welcher Meinungsfreiheit und Pressefreiheit hoch hält, genau diese Vielfalt begrüssen?!).

In der Schweiz ist die Medienlandschaft unterdessen sehr einheitlich. SRF und die Medienhäuser tun einander nicht weh. Mehr noch: sie arbeiten besonders im “people journalismus” sehr eng zusammen. Die meisten Berichte übernimmt man von Agenturmeldungen (SDA, AP, Reuters etc.). Eigenrecherchen sind unterdessen Mangelware – und wenn, dann beschäftigen sie sich meist mit Belanglosigkeiten (Sport, People, etc.)

Doch auch die Schweizer Bevölkerung muss heute mehrheitlich als “leichtgläubig” eingeschätzt werden. Das ist nicht schmeichelhaft und manch’ einer wird sich davon ausnehmen wollen – besonders natürlich die Politiker. Aber testen Sie sich doch gleich selbst: Wann sind Sie das letzte Mal aufgrund eines Medienbereichts hingesessen und haben eigenhändig recherchiert? Haben Sie schon ein Medienprodukt abbestellt, weil es nachweislich falsche Nachrichten verbreitet hat? Wie gross ist die Schnittmenge an Inhalten (SDA-Meldungen!) der von Ihnen konsumierten Medienprodukte? Konsumieren Sie bewusst andere Ansichten?

Lassen Sie mich ein Beispiel aus der Welt der Finanzanlagen geben: Konnten Sie aufgrund der in sog. Fachmedien oder Tageszeitungen publizierten Beiträge Ihre persönliche Anlagerendite signifikant steigern? Wohl kaum. Kennen Sie jemanden, der aufgrund dieser Information sehr reich geworden ist? Ich nicht. Bringen Ihnen also diese Inforationen einen Vorsprung, der sich lohnt? Nein. Wieso konsultieren Sie dann diese Quellen noch? Aus Bequemlichkeit?

Zum Glück bietet das Internet eine grosse Auswahl an Bildern, Filmen und Berichten, welche genau dieser wichtigen Aufgabe nachkommen. Man muss allerdings selbst und mit grösserem Aufwand danach suchen. Etwas Denken und eine gesunde Portion “Gesunder Menschenverstand” helfen bei der Einordnung der Quellen.

Beide Seiten prüfen

In der Wissenschaft gilt eine Theorie so lange, bis sie jemand widerlegt. Giordano Bruno und Galileo Galilei hatten die Kraft, sich dem herrschenden Weltbild entgegenzustämmen – beide wurden geächtet, obschon sie Recht behalten sollten. Und heute? Setzen wir unsere Meinung dem Widerspruch aus? Lassen wir andere Ansichten und Quellen zu oder diskreditieren wir die Überbringer der Nachricht als unglaubwürdige Propagandisten? Zeigen unsere Massenmedien nicht immer wieder, wie fehleranfällig ihre Berichte sind? Wäre es nicht unsere Pflicht, gängige Ansichten zu hinterfragen und die andere Seite ebenfalls in unsere Beurteilung miteinzubeziehen? Wir sind ja weiss Gott nicht allwissend.

Es gilt festzustellen, dass wir als westliche Bevölkerung – trotz oft ins Feld geführter guter Bildung – sehr anfällig auf westliche/eigene Propaganda sind. Wir haben verlernt oder sind zu faul, die uns präsentierten Informationen kritisch zu hinterfragen und alternative Quellen zu konsultieren. Nur was in unseren Massenmedien vorkommt, existiert und ist wahr. Einmal im Gehirn platzierte Ideen bleiben hartnäckig in unserem Bewusstsein. Was in den Berichten der russischen Propaganda unterstellt wird, gilt genauso für unsere Anfälligkeit auf westliche Propaganda. Nur, dass uns kaum jemand davor warnt. Dies sollten wir uns vielleicht etwas mehr bewusst werden. Aktuell sind wir auf dem westlichen Auge blind. Sicherheitspolitisch könnte dies zum Bumerang werden. Lesen Sie doch wieder einmal “Biedermann und die Brandstifter” – aber dieses Mal aus einem anderen Blickwinkel.

***

Dieser Beitrag wurde in einer leicht gekürzten Version in der ASMZ von September 2014 publiziert.

UPDATE: Die z.T. heftigen Reaktionen der Unwissenden regt zum Kopfschütteln an.

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Markus M. Müller
Markus M. Müller (genannt “MMM”): wohnhaft im Aargau, ab 1974 aufgewachsen im Fricktal, beeinflusst von der Inner- und Ostschweiz, studierte IT-, Medien- und Kommunikationsmanagement an der Universität St. Gallen (HSG) ist selbständiger Informationsmanager und Unternehmer. Er leistet Dienst als Generalstabsoffizier in der Schweizer Milizarmee. Er bezeichnet sich als “konservativen, libertären Bürger” und ist in verschiedenen sicherheitspolitischn Vereinen aktiv. Interessen: Geo- und Sicherheitspolitik, Währungsfragen, Gold/Silber, C4ISR, Medienpolitik.
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